Innere Bilder

Definition:

Ein inneres Bild, im kognitionswissenschaftlichen Sinne, ist eine mentale Repräsentation visueller Informationen, die in Abwesenheit direkter sensorischer Stimuli erzeugt oder abgerufen wird. Es ist Teil des breiteren Konzepts innerer Repräsentationen, die mentale Konstrukte darstellen, welche Informationen über die Welt, Erfahrungen oder abstrakte Konzepte kodieren.

Diskussion:

  1. Formen innerer Repräsentationen:

a) Visuelle Repräsentationen:
Diese umfassen mentale Bilder, die dem visuellen Erleben ähneln. Kosslyn et al. (2006) argumentieren, dass visuelle mentale Bilder auf ähnlichen neuronalen Mechanismen beruhen wie die visuelle Wahrnehmung selbst [1].

b) Propositionale Repräsentationen:
Diese stellen Informationen in einer abstrakten, sprachähnlichen Form dar. Pylyshyn (2002) argumentiert, dass viele kognitive Prozesse eher auf propositionalen als auf bildlichen Repräsentationen basieren [2].

c) Prozedurale Repräsentationen:
Diese repräsentieren Handlungsabläufe oder Fertigkeiten. Sie sind oft implizit und schwer zu verbalisieren (Squire, 2004) [3].

d) Emotionale Repräsentationen:
Diese kodieren affektive Zustände und können mit anderen Repräsentationsformen interagieren (Damasio, 1994) [4].

e) Multimodale Repräsentationen:
Diese integrieren Informationen aus verschiedenen Sinnesmodalitäten (Barsalou, 2008) [5].

  1. Charakteristika visueller Repräsentationen:

a) Räumliche Eigenschaften:
Visuelle Repräsentationen bewahren oft räumliche Beziehungen zwischen Objekten (Kosslyn, 1980) [6].

b) Detailgrad:
Sie können in ihrer Detailliertheit variieren, von vagen Umrissen bis zu hochauflösenden „Bildern“ (Pearson et al., 2015) [7].

c) Manipulierbarkeit:
Mentale Bilder können oft mental rotiert, vergrößert oder anderweitig manipuliert werden (Shepard & Metzler, 1971) [8].

d) Subjektive Lebhaftigkeit:
Die erlebte Klarheit und Lebendigkeit mentaler Bilder variiert zwischen Individuen und Situationen (Marks, 1973) [9].

  1. Neurologische „Bausteine“ neuronaler Repräsentationen:

a) Neuronale Ensembles:
Gruppen von Neuronen, die gemeinsam feuern und spezifische Informationen kodieren (Hebb, 1949) [10].

b) Synaptische Verbindungen:
Die Stärke und Struktur synaptischer Verbindungen kodieren Informationen und ermöglichen Lernen (Kandel et al., 2000) [11].

c) Oszillatorische Aktivität:
Synchronisierte neuronale Oszillationen spielen eine Rolle bei der Integration von Informationen und der Bildung kohärenter Repräsentationen (Buzsáki & Draguhn, 2004) [12].

d) Topographische Karten:
In vielen Hirnarealen, besonders im visuellen System, existieren topographische Karten, die räumliche Beziehungen bewahren (Wandell et al., 2007) [13].

e) Verteilte Kodierung:
Komplexe Repräsentationen werden oft durch verteilte Aktivitätsmuster über viele Neuronen hinweg kodiert (Haxby et al., 2001) [14].

f) Prädiktive Kodierung:
Neuronale Netzwerke generieren Vorhersagen über erwartete Inputs, die mit tatsächlichen sensorischen Eingängen verglichen werden (Rao & Ballard, 1999) [15].

  1. Aktuelle Forschungsrichtungen und Herausforderungen:

a) Individuelle Unterschiede:
Die Erforschung von Aphantasie, der Unfähigkeit, willentlich mentale Bilder zu erzeugen, hat neue Fragen über die Natur und Notwendigkeit visueller Repräsentationen aufgeworfen (Zeman et al., 2015) [16].

b) Künstliche neuronale Netze:
Die Entwicklung von Modellen wie DeepDream hat neue Einblicke in die mögliche Struktur visueller Repräsentationen geliefert (Mordvintsev et al., 2015) [17].

c) Bewusstsein und Repräsentation:
Die Beziehung zwischen neuronalen Repräsentationen und bewusster Erfahrung bleibt ein aktives Forschungsgebiet (Dehaene et al., 2014) [18].

d) Multimodale Integration:
Die Erforschung, wie verschiedene Repräsentationsformen im Gehirn integriert werden, ist von zunehmendem Interesse (Spence & Deroy, 2013) [19].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass innere Bilder und visuelle Repräsentationen komplexe kognitive Phänomene sind, die auf vielfältigen neuronalen Mechanismen beruhen. Ihre Erforschung bietet wichtige Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Geistes und hat Implikationen für Bereiche wie Gedächtnis, Problemlösung und Kreativität.

[Auszug aus Kapitel 4 des Manuskripts]

In der Gehirnforschung ist bekannt, dass innere Bilder (Repräsentationen) aus der Wechselwirkung verschiedener Gehirnregionen entstehen. Sobald sich beispielsweise im Frontallappen, einem Teil des Gehirns, der für höhere kognitive Funktionen wie Entscheidungsfindung, Problemlösung, Planung, soziales Verhalten und die Kontrolle freiwilliger Bewegungen zuständig ist, der Wunsch nach Wasser aufbaut, entsteht im hinteren Teil des Gehirns in der Sehrinde des Okzipitallappens, einer Region über dem Kleinhirn, ein visueller Eindruck.   

Die Frage, wie ein Gesamteindruck entstehen kann, der wie bei einer Imagination keine externe Reizgrundlage benötigt, ist nach wie vor rätselhaft. Die aktivierten Gehirnmuster beim Sehen eines Objektes und bei der Vorstellung desselben Objektes unterscheiden sich wie erwähnt kaum.     

Die Frage, wie aus den geschätzt 10 Millionen Reizen pro Sekunde auf der Netzhaut des menschlichen Auges ein inneres Bild entsteht, ist ebenso schwer zu erfassen, da es keinerlei neuronale Anhaltspunkte für die Formgebung eines Bildes innerhalb des Gehirns gibt. Neuronen besitzen keine Funktion wie Pixel im Sinne einer Bildzelle beim Aufbau eines digitalen Bildschirms. Es sind dafür keine eigens spezialisierten Neuronentypen bekannt. Darüber hinaus sind für kreative Prozesse bislang weder fixe noch hierarchische Verbindungsmuster von Neuronen bekannt. Die Verbindungsmuster der Neuronen sind vielmehr allgemein auf Parallelisierung, Reziprozität und eine dezentrale Verteilung ausgelegt. Dadurch ist das Gehirn in der Lage, Aufgaben von zerstörten Gehirnregionen adaptiv in anderen Gehirnregionen auszuführen.

Literatur:

[1] Kosslyn, S. M., Thompson, W. L., & Ganis, G. (2006). The case for mental imagery. Oxford University Press.

[2] Pylyshyn, Z. W. (2002). Mental imagery: In search of a theory. Behavioral and brain sciences, 25(2), 157-182.

[3] Squire, L. R. (2004). Memory systems of the brain: a brief history and current perspective. Neurobiology of learning and memory, 82(3), 171-177.

[4] Damasio, A. R. (1994). Descartes‘ error: Emotion, reason, and the human brain. Putnam.

[5] Barsalou, L. W. (2008). Grounded cognition. Annual review of psychology, 59, 617-645.

[6] Kosslyn, S. M. (1980). Image and mind. Harvard University Press.

[7] Pearson, J., Naselaris, T., Holmes, E. A., & Kosslyn, S. M. (2015). Mental imagery: functional mechanisms and clinical applications. Trends in cognitive sciences, 19(10), 590-602.

[8] Shepard, R. N., & Metzler, J. (1971). Mental rotation of three-dimensional objects. Science, 171(3972), 701-703.

[9] Marks, D. F. (1973). Visual imagery differences in the recall of pictures. British journal of Psychology, 64(1), 17-24.

[10] Hebb, D. O. (1949). The organization of behavior: A neuropsychological theory. Wiley.

[11] Kandel, E. R., Schwartz, J. H., & Jessell, T. M. (2000). Principles of neural science. McGraw-Hill.

[12] Buzsáki, G., & Draguhn, A. (2004). Neuronal oscillations in cortical networks. Science, 304(5679), 1926-1929.

[13] Wandell, B. A., Dumoulin, S. O., & Brewer, A. A. (2007). Visual field maps in human cortex. Neuron, 56(2), 366-383.

[14] Haxby, J. V., Gobbini, M. I., Furey, M. L., Ishai, A., Schouten, J. L., & Pietrini, P. (2001). Distributed and overlapping representations of faces and objects in ventral temporal cortex. Science, 293(5539), 2425-2430.

[15] Rao, R. P., & Ballard, D. H. (1999). Predictive coding in the visual cortex: a functional interpretation of some extra-classical receptive-field effects. Nature neuroscience, 2(1), 79-87.

[16] Zeman, A., Dewar, M., & Della Sala, S. (2015). Lives without imagery–Congenital aphantasia. Cortex, 73, 378-380.

[17] Mordvintsev, A., Olah, C., & Tyka, M. (2015). Inceptionism: Going deeper into neural networks. Google Research Blog.

[18] Dehaene, S., Charles, L., King, J. R., & Marti, S. (2014). Toward a computational theory of conscious processing. Current opinion in neurobiology, 25, 76-84.

[19] Spence, C., & Deroy, O. (2013). How automatic are crossmodal correspondences? Consciousness and cognition, 22(1), 245-260.

Synonyms:
innere Repräsentationen

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