Definition:
Ein Resonanzraum ist ein dynamischer Interaktionsbereich, in dem Individuen oder Systeme nicht nur wahrnehmen, sondern auch affektiv und aktiv auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr in Wechselwirkung treten. Basierend auf Hartmut Rosas Konzept der Resonanz umfasst dieser Raum sowohl die Fähigkeit, von der Umwelt „berührt“ oder affiziert zu werden, als auch die Kapazität, auf diese Affizierung zu antworten und die Umwelt ihrerseits zu beeinflussen.
Diskussion:
Der Resonanzraum erweitert das Konzept des Wahrnehmungsraums um eine aktive, transformative Dimension. Während der Wahrnehmungsraum primär die rezeptive Seite der Erfahrung betont, umfasst der Resonanzraum auch die responsive und interaktive Komponente.
Hartmut Rosa (2016) entwickelte in seinem Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ die Idee, dass bedeutungsvolle Erfahrungen und ein gutes Leben durch resonante Beziehungen zur Welt charakterisiert sind. Diese Resonanz manifestiert sich in einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen Subjekt und Welt, die über bloße Wahrnehmung hinausgeht.
Im Kontext digitaler Technologien können wir verschiedene Formen von Resonanzräumen identifizieren:
- Digitale Resonanzräume:
Digitale Plattformen und soziale Medien schaffen neue Formen von Resonanzräumen. Papacharissi (2015) argumentiert in ihrem Konzept der „affektiven Öffentlichkeiten“, dass digitale Medien Räume schaffen, in denen Emotionen und Affekte zirkulieren und kollektive Handlungen auslösen können. Diese digitalen Resonanzräume ermöglichen es Individuen, über geographische und zeitliche Grenzen hinweg aufeinander zu reagieren und sich gegenseitig zu beeinflussen. - Hybride Resonanzräume:
Die zunehmende Verschmelzung von digitalem und physischem Raum führt zur Entstehung hybrider Resonanzräume. De Souza e Silva (2006) prägte den Begriff der „hybriden Räume“, um die Überlagerung von physischen und digitalen Interaktionen zu beschreiben. In diesen hybriden Resonanzräumen können reale Handlungen und digitale Kommunikation nahtlos ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken. - Künstliche Resonanzräume:
Mit der Entwicklung fortschrittlicher KI-Systeme entstehen neue Formen künstlicher Resonanzräume. Diese umfassen Interaktionen zwischen Menschen und KI-Entitäten, die über einfache Kommandoeingaben hinausgehen und komplexe, affektive Austauschprozesse ermöglichen. Turkle (2011) diskutiert in ihrem Buch „Alone Together“ die emotionalen Bindungen, die Menschen zu Robotern und KI-Systemen entwickeln können, was auf die Entstehung künstlicher Resonanzräume hindeutet.
Die Entwicklung dieser verschiedenen Formen von Resonanzräumen hat weitreichende Implikationen:
- Erweiterung der Handlungsfähigkeit: Digitale und hybride Resonanzräume können die Handlungsfähigkeit von Individuen erweitern, indem sie neue Möglichkeiten der Interaktion und des Einflusses bieten.
- Veränderung sozialer Dynamiken: Resonanzräume, insbesondere in ihrer digitalen Form, können traditionelle soziale Strukturen und Machtdynamiken verändern, indem sie neue Formen der Vernetzung und des kollektiven Handelns ermöglichen.
- Herausforderungen für Authentizität und Intimität: Künstliche Resonanzräume werfen Fragen nach der Natur authentischer Beziehungen und der Möglichkeit echter Resonanz mit nicht-menschlichen Entitäten auf.
- Ethische Implikationen: Die Gestaltung und Nutzung von Resonanzräumen, insbesondere im Kontext von KI, erfordert eine sorgfältige ethische Reflexion über Fragen der Autonomie, des Datenschutzes und der menschlichen Würde.
Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, wie verschiedene Formen von Resonanzräumen unser Selbstverständnis, unsere sozialen Beziehungen und unsere Weltbeziehung insgesamt beeinflussen. Dabei sollte besonderes Augenmerk auf die Wechselwirkungen zwischen digitalen, hybriden und künstlichen Resonanzräumen gelegt werden.
Literatur:
De Souza e Silva, A. (2006). From cyber to hybrid: Mobile technologies as interfaces of hybrid spaces. Space and culture, 9(3), 261-278.
Papacharissi, Z. (2015). Affective publics: Sentiment, technology, and politics. Oxford University Press.
Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag.
Turkle, S. (2011). Alone together: Why we expect more from technology and less from each other. Basic Books.
[Auszug aus Kapitel 5 des Manuskripts]
Die bisher betrachteten Ansätze zur verkörperten und situierten Kognition in der Robotik machen deutlich, wie stark Wahrnehmung, Verhalten und Umgebungsinteraktion miteinander verwoben sind. Komplexe kognitive Leistungen emergieren nicht in isolierten Systemen, sondern erst durch die enge Kopplung mit der realen Welt.
Diese Erkenntnis weist bereits auf ein zentrales Konzept dieses Abschnitts hin: Die Vorstellung, dass auch unser menschliches Bewusstsein, insbesondere das visuelle Bewusstsein, kein rein interner, separater Prozess ist. Vielmehr entsteht es aus der dynamischen Interaktion zwischen Individuen, Gemeinschaften und ihrer Umgebung – und daraus sollte auch das kollektive Bildbewusstsein hervorgerufen werden.
[…]
Wenn also unser visuelles Bewusstsein tatsächlich durch die körperliche Interaktion mit der Umwelt geformt wird, dann greift das Konzept des Wahrnehmungsraums zu kurz, um die dynamischen Prozesse des Alltags zu erfassen. Denn bisher haben wir nur festgestellt, dass die Bilder eines Wahrnehmungsraums eine Vorstellung ausdrückt, die sich über einen längeren Zeitraum nicht verändern und ähnlich wie bei einer Zielvorstellung, einem Leitbild oder einem Image eine Orientierung darstellen. Sie weisen zudem eine gewisse Ähnlichkeit mit ikonischen Darstellungen auf, wie sie Roland Barthes in seiner semiotischen Analyse beschreibt. Diese sind tief in kulturellen und sozialen Überzeugungen verankert und dienen oft als Symbole für Ideale und Werte, die stabil und unveränderlich erscheinen.
Berührt uns ein derart verankerte Vorstellung, kann es uns in Bewegung versetzen. Es kann uns dazu beeinflussen, diese Imagination anzustreben – oder gegen sie anzukämpfen. Übt eine Vorstellung eine derart anziehende Wechselwirkung auf uns aus, kommt es zu einer Affizierung. Der Begriff wurde von Hartmut Rosa im Rahmen seines Resonanzmodells der Weltbeziehung entwickelt. Dieses Modell dient der Beschreibung emotionaler Regungen oder Ergriffenheiten, die zu einer Reaktion und damit zu einer Bewegung führen.