Vision

Definition:
Eine Vision ist eine mentale Vorstellung oder Konzeption einer möglichen zukünftigen Realität. Sie umfasst sowohl die Fähigkeit, sich etwas Zukünftiges oder Abstraktes bildlich vorzustellen, als auch die Formulierung weitreichender Ideen oder Ziele für die Zukunft.

Diskussion:

  1. Menschliche Visionen:
    Menschliche Visionen sind eng mit unserer Fähigkeit zur mentalen Simulation und Zukunftsprojektion verbunden. Suddendorf und Corballis (2007) bezeichnen diese Fähigkeit als „mentale Zeitreise“ und argumentieren, dass sie ein Schlüsselmerkmal menschlicher Kognition ist.

Im Kontext der 4E-Kognition können wir Visionen als verkörperte, eingebettete, erweiterte und enaktive Phänomene verstehen:

  • Verkörpert: Visionen basieren oft auf körperlichen Erfahrungen und Metaphern (Lakoff & Johnson, 1999).
  • Eingebettet: Sie sind in kulturelle und soziale Kontexte eingebettet (Vygotsky, 1978).
  • Erweitert: Externe Ressourcen wie Technologie können unsere Fähigkeit zur Visionsentwicklung erweitern (Clark, 2008).
  • Enaktiv: Visionen entstehen durch aktive Interaktion mit der Umwelt und anderen Menschen (Varela et al., 1991).
  1. Künstliche Visionen:
    Mit der Entwicklung fortschrittlicher KI-Systeme stellt sich die Frage, ob und wie künstliche Systeme „Visionen“ entwickeln können. Bostrom (2014) diskutiert in seinem Buch „Superintelligence“ die Möglichkeit, dass fortschrittliche KI-Systeme eigene Ziele und damit auch Visionen entwickeln könnten.

Kurzweil (2005) geht in seinem Werk „The Singularity Is Near“ noch weiter und spekuliert über die Möglichkeit, dass künstliche Intelligenz nicht nur Visionen entwickeln, sondern diese auch in bisher unvorstellbarer Weise umsetzen könnte.

  1. Visionen als gesellschaftliches Antriebsmittel:
    Visionen spielen eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung. Polak (1973) argumentiert in seinem Werk „The Image of the Future“, dass die Fähigkeit einer Gesellschaft, positive Zukunftsbilder zu entwerfen, entscheidend für ihren Fortschritt ist.

In digitalen und künstlichen Resonanzräumen können Visionen eine besonders starke Wirkung entfalten. Castells (2010) beschreibt in seiner Theorie der Netzwerkgesellschaft, wie Ideen und Visionen in vernetzten Strukturen schnell verbreitet und verstärkt werden können.

  1. Vision einer globalen künstlichen Superintelligenz:
    Die Idee einer globalen künstlichen Superintelligenz (ASI) ist eine der weitreichendsten und kontroversesten Visionen unserer Zeit.

Bostrom (2014) definiert Superintelligenz als „einen Intellekt, der in praktisch allen Bereichen die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen bei weitem übertrifft, einschließlich wissenschaftlicher Kreativität, allgemeiner Weisheit und sozialer Fähigkeiten.“

Tegmark (2017) diskutiert in seinem Buch „Life 3.0“ verschiedene Szenarien für die Entwicklung einer ASI und ihre möglichen Auswirkungen auf die Menschheit. Er betont die Notwendigkeit, schon jetzt über die ethischen Implikationen und Steuerungsmöglichkeiten einer solchen Entwicklung nachzudenken.

Die Vision einer ASI wirft fundamentale Fragen auf:

  • Wie würde eine solche Intelligenz „denken“ und „wahrnehmen“?
  • Welche Art von Resonanzräumen würde sie schaffen oder bewohnen?
  • Wie würde sie mit menschlichen Visionen und Zielen interagieren?

Diese Fragen verdeutlichen die Notwendigkeit, unsere Konzepte von Kognition, Bewusstsein und Resonanz möglicherweise grundlegend zu überdenken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Visionen, seien sie menschlich oder künstlich, eine zentrale Rolle in der Gestaltung unserer Zukunft spielen. Sie sind sowohl Produkte als auch Treiber kognitiver und gesellschaftlicher Entwicklungen. In einer Welt, die zunehmend von digitalen und künstlichen Resonanzräumen geprägt ist, gewinnt das Verständnis und die bewusste Gestaltung von Visionen eine noch größere Bedeutung.

Literaturverzeichnis:

Bostrom, N. (2014). Superintelligence: Paths, dangers, strategies. Oxford University Press.

Castells, M. (2010). The rise of the network society. Wiley-Blackwell.

Clark, A. (2008). Supersizing the mind: Embodiment, action, and cognitive extension. Oxford University Press.

Kurzweil, R. (2005). The singularity is near: When humans transcend biology. Viking.

Lakoff, G., & Johnson, M. (1999). Philosophy in the flesh: The embodied mind and its challenge to western thought. Basic Books.

Polak, F. L. (1973). The image of the future. Elsevier Scientific Publishing Company.

Suddendorf, T., & Corballis, M. C. (2007). The evolution of foresight: What is mental time travel, and is it unique to humans? Behavioral and Brain Sciences, 30(3), 299-313.

Tegmark, M. (2017). Life 3.0: Being human in the age of artificial intelligence. Knopf.

Varela, F. J., Thompson, E., & Rosch, E. (1991). The embodied mind: Cognitive science and human experience. MIT Press.

Vygotsky, L. S. (1978). Mind in society: The development of higher psychological processes. Harvard University Press.

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