Ausstellung Galerie Bildraum 07, Wien 2015
Manisha Jothady, freie Journalistin und Kunstkritikerin
Im Mai 1993 veröffentlichte der Physiker John Richard Gott in der Wissenschaftszeitschrift Nature einen ebenso bemerkenswerten wie denkwürdigen Artikel mit dem Titel „Die Folgen des Kopernikanischen Prinzips für unsere zukünftigen Aussichten“. Die Publikation löste heftige Debatten aus, denn Gott berief sich darin auf das Doomsday Argument, jene Weltuntergangsformel, die auf einer Wahrscheinlichkeitsrechnung basiert und daher als höchst umstritten gilt. Folgt man Gotts These, so endet die Existenz des Homo sapiens in spätestens 7,8 Millionen Jahren.
Zeit genug für den Physiker und Wissenschaftsastronauten Ulrich Walter, um eine alternative Vision zu entwickeln. 2005, in seinem Aufsatz „Die Evolution der Menschheit im Kosmos“, sieht er das Zeitalter des Homo galacticus kommen. Gemäß seinen Berechnungen wird dieser in etwa 4 Millionen Jahren die gesamte Milchstraße kolonialisiert haben. Unser Ende ist also unsere Zukunft. Beständigkeit hat nur der Weltraum und seine unendlichen Weiten, die voller noch ungeahnter Möglichkeiten stecken, die es anhand von mathematischen Konstrukten zu ermitteln gilt. Das Universum, dieses immense kosmische Schaumbad, in dem wir schließlich nur eine kleine Blase namens Erde bevölkern, hat die Menschheit von jeher in ihrem Denken und Handeln beflügelt. Der Blick in das nächtliche Firmament, die Mondlandung, das Erkunden anderer Planeten, das Erforschen weit entfernter Galaxien mündet dabei letztlich immer in eine zentrale Frage. Sie lautet: Woher kommen wir und wohin werden wir gehen?
Derlei existenzielle Gedanken mögen einen beim Bestaunen jener Bilderwelten beschleichen, die der Künstler Udo Fon geschaffen hat. „Homo Sapiens Galac Ticus III“ hieß sein Projekt mit dem er im Frühjahr 2015 die Galerie des Bildraum 07 ins Kosmische transferierte. Man schaute auf tiefschwarze, satt grundierte Leinwände, aus denen weiße Punkte unterschiedlicher Größe hervorstachen, die stellenweise durch fein gestrichelte Linien systematisch miteinander verbunden waren. So hatten wir den Sternenhimmel noch nie gesehen. Diese Bilder schienen irgendwo zwischen künstlerischer Fiktion und wissenschaftlicher Beweislegung angesiedelt zu sein. Dieser Eindruck wurde durch computergenerierte Ansichten von Sternenfeldern verstärkt, die Fon in Kombination mit Diagrammen präsentierte, zu deren Erstellung er sich eines Softwareprogramms der European Space Organisation bedient hatte.
Welcher Sinnzusammenhang hätte sich in isolierter Betrachtung oder in der Zusammenschau mit ganz anderen Bildern ergeben? Im Bildraum 07 hat der Künstler diese Aufnahmen mit einer mehrteiligen Leinwandarbeit konfrontiert, die schwarze konvex und konkav geschwungene Linien auf weißem Grund zeigten. Als Betrachter war man damit am Nullpunkt des Entschlüsselns angelangt. Schrittweise hat uns der Künstler hierher geführt, uns den nächtlichen Himmel und seine wundersamen Sternenkonstellationen gezeigt, Einsteins Relativitätstheorie aus dem Physikunterricht raus in die Kunst hinein geholt und mit „Imagination of a Planet“ , einer Malerei, die aufgrund ihres pastosen Farbauftrags besonders hervorstach, dargelegt, dass man im kosmischen Nebel das Flimmern einer impressionistischen Landschaft erkennen kann. Und er hat mit Spuren im Eis unsere Vorstellungskraft geweckt, vor allem aber die Art und Weise wie wir Dinge betrachten und uns damit ins Verhältnis zu ihnen setzen als vorstrukturiert entlarvt.
Dann, am Ende des Ausstellungsrundgangs, vor geschwungenen Linien auf weißem Grund stehend, machten die Gedanken Pause, ruhte das Auge auf dem Unerklärlichen, auf einer Art „unauflösbaren Rest“, um es mit Jaques Lacans Worten zu sagen, auf dessen Subjekttheorie sich Udo Fon hier bezog. Lacan unterteilte die menschliche Psyche in die Bereiche des Symbolischen, des Imaginären und des Realen. Als das Reale bezeichnete er dabei jenen Bereich, der weder imaginiert noch repräsentiert werden kann, sich also der symbolischen Ordnung, dem Sprechen und damit jeglicher Diskursivierung entzieht. Auf die Kunst übertragen könnte dies bedeuten, dass ihre Freiheit insbesondere darin besteht, von äußeren Referenzen und Funktionszusammenhängen entkoppelt sein zu dürfen, ohne unter Legitimierungszwang zu geraten.
So schien uns Udo Fons Space Odysse zuguterletzt in jene Dimension zu führen, in der Bilder auf nichts anderes verweisen als auf sich selbst. Allein mit dem paradox anmutenden Titel der Arbeit – „Resonanzraum der Wahrnehmung“ – wurde der Betrachter an jenen Aspekt erinnert, der den Grundtenor der gesamten Ausstellung bildete: Die messbare Seite der Welt. Dass diese eben nicht die Welt in ihrer Gesamtheit bedeutet, sondern nur deren messbaren Teil, machte der Künstler hier noch einmal bewusst. In die unzähligen noch unerforschten Dimensionen wird Udo Fons Homo Sapiens Galac Ticus vielleicht in einem nächsten Evolutionsschritt vordringen.