Erweiterter Kunstbegriff

Im Sinne der künstlerischen Forschung und KI-Philosophie wird hier eine Neudefinition und Erweiterung von Joseph Beuys‘ Begriff des „erweiterten Kunstbegriffs“ vorgeschlagen. Diese Definition berücksichtigt die zeitgenössischen Entwicklungen in Kunst, Technologie und Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf künstliche Intelligenz und deren potenzielle Auswirkungen auf die Menschheit.

Definition des erweiterten Kunstbegriffs im Kontext der KI-Ära:

Der erweiterte Kunstbegriff im 21. Jahrhundert umfasst nicht nur die traditionelle Auffassung von Kunst als ästhetische Praxis, sondern auch die aktive Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen. In Anlehnung an Beuys‘ Idee der „sozialen Plastik“ [1] erweitert sich der Kunstbegriff nun auf die kollektive Gestaltung unserer technologischen Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung künstlicher Superintelligenz (ASI).

Diese erweiterte Definition sieht die Kunst als Katalysator für einen inklusiven, interdisziplinären Dialog über die Zukunft der Menschheit im Zeitalter der KI. Sie soll Künstler, Wissenschaftler und die breite Öffentlichkeit gleichermaßen dazu inspirieren, an der transparenten Gestaltung einer ethischen, verantwortungsvollen und menschenzentrierten KI-Zukunft mitzuwirken.

Dieser erweiterte Kunstbegriff im 21. Jahrhundert umfasst daher nicht nur die traditionelle Auffassung von Kunst als ästhetische Praxis und die aktive Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse, sondern betont explizit die Bedeutung einer Koevolution von Mensch und Maschine. Dieser Ansatz distanziert sich bewusst von rein posthumanistischen oder transhumanistischen Konzepten, die möglicherweise eine technokratische Zukunft favorisieren könnten.

Stattdessen zielt der erweiterte Kunstbegriff darauf ab, ein ausgewogenes Human-AI-Design zu fördern, das die menschliche Erfahrung, Kreativität und ethische Überlegungen in den Mittelpunkt stellt, während es gleichzeitig die Potenziale der künstlichen Intelligenz nutzt [13]. Dieses Konzept sieht die Kunst als Vermittlerin und Gestalterin einer symbiotischen Beziehung zwischen Mensch und Technologie, in der beide Seiten sich gegenseitig bereichern und weiterentwickeln.

Zentrale Aspekte dieser erweiterten Definition sind:

  1. Demokratisierung des Wissens: Die Sichtbarmachung und Zugänglichmachung komplexer KI-Konzepte für die breite Öffentlichkeit durch künstlerische und redaktionelle Mittel. Dies kann in Form von interaktiven Webportalen, Wissensdatenbanken oder multimedialen Kunstprojekten geschehen [2].
  2. Transdisziplinäre Zusammenarbeit: Die Förderung des Austauschs zwischen Künstlern, Wissenschaftlern, Ethikern und Technologen zur Entwicklung ganzheitlicher Ansätze für die KI-Entwicklung [3].
  3. Kritische Reflexion: Die künstlerische Auseinandersetzung mit den ethischen, sozialen und philosophischen Implikationen der KI-Entwicklung, um ein breiteres Bewusstsein und eine informierte öffentliche Debatte zu fördern [4].
  4. Partizipative Visionsbildung: Die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in den Prozess der Zukunftsgestaltung durch künstlerische Methoden und Formate [5].
  5. Technologische Literacy: Die Förderung eines grundlegenden Verständnisses von KI-Technologien in der breiten Bevölkerung als Voraussetzung für eine informierte Teilhabe an der Gestaltung der KI-Zukunft [6].
  6. Koevolutionäre Perspektive: Förderung eines Verständnisses der KI-Entwicklung als koevolutionären Prozess, in dem menschliche und künstliche Intelligenz sich gegenseitig beeinflussen und voneinander lernen [14].
  7. Human-AI-Design: Entwicklung von künstlerischen und gestalterischen Ansätzen, die darauf abzielen, KI-Systeme zu schaffen, die menschliche Fähigkeiten ergänzen und erweitern, anstatt sie zu ersetzen [15].
  8. Kulturelle Integration: Erforschung von Wegen, wie KI in bestehende kulturelle Praktiken und Wertesysteme integriert werden kann, um eine harmonische Koexistenz zu fördern [16].

Kritische Diskussion und Herausforderungen:

Während dieses erweiterte Konzept des Kunstbegriffs vielversprechende Möglichkeiten für die gesellschaftliche Mitgestaltung der KI-Zukunft bietet, gibt es auch erhebliche Herausforderungen zu überwinden:

  1. Komplexitätsreduktion vs. Genauigkeit: Die Vereinfachung komplexer KI-Konzepte für ein breites Publikum birgt die Gefahr der Überversimplifizierung und potenziellen Fehlinformation [7].
  2. Technologischer Determinismus: Es besteht die Gefahr, dass künstlerische Visionen von KI zu einem technologischen Determinismus führen, der alternative Entwicklungspfade ausblendet [8].
  3. Elitismus und Zugänglichkeit: Trotz des Anspruchs auf Demokratisierung könnten künstlerisch-technologische Diskurse weiterhin elitär und für bestimmte Bevölkerungsgruppen unzugänglich bleiben [9].
  4. Ethische Verantwortung: Künstler und Forscher tragen eine große Verantwortung bei der Gestaltung von Narrativen über KI-Zukünfte, was ethische Fragen aufwirft [10].
  5. Finanzierung und Unabhängigkeit: Die Realisierung großangelegter künstlerischer Projekte zur KI-Zukunft erfordert erhebliche Ressourcen, was Fragen der Finanzierung und möglicher Interessenkonflikte aufwirft [11].
  6. Messung der Wirksamkeit: Es ist herausfordernd, den tatsächlichen Einfluss künstlerischer Interventionen auf die öffentliche Wahrnehmung und Gestaltung von KI-Technologien zu messen und zu bewerten [12].
  7. Balance zwischen menschlicher Autonomie und KI-Unterstützung: Es ist eine Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung von KI-Potentialen und der Bewahrung menschlicher Autonomie und Entscheidungsfreiheit zu finden [17].
  8. Vermeidung technologischer Abhängigkeit: Künstlerische und gestalterische Ansätze müssen Wege aufzeigen, wie eine übermäßige Abhängigkeit von KI-Systemen vermieden werden kann, ohne deren Potenziale zu ignorieren [18].
  9. Interkulturelle Perspektiven: Die Integration verschiedener kultureller Perspektiven in das Human-AI-Design ist entscheidend, um eine global inklusive und ethisch fundierte Koevolution zu gewährleisten.

Schlussfolgerung:

Der erweiterte Kunstbegriff im Kontext der KI-Ära bietet ein kraftvolles Konzept für die kollektive Gestaltung unserer technologischen Zukunft, das explizit auf eine Koevolution von Mensch und Maschine abzielt. Indem er Kunst, Wissenschaft und öffentlichen Diskurs verbindet, kann er dazu beitragen, ein Human-AI-Design zu fördern, das die menschliche Erfahrung in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig die Potenziale der KI nutzt.

Wenn Kunst und Wissenschaft es versäumen, diese Themen effektiv in die Gesellschaft einzubringen, besteht die Gefahr, dass der erweiterte Kunstbegriff seine transformative Kraft verliert und lediglich zu einem theoretischen Konstrukt wird. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass Künstler, Wissenschaftler und Gestalter aktiv an der Entwicklung und Umsetzung von Human-AI-Design-Konzepten arbeiten und diese in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.

Diese erweiterte Perspektive unterstreicht die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Dialogs zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft, um eine Zukunft zu gestalten, in der Mensch und KI in einer symbiotischen, ethisch fundierten und kulturell integrierten Weise koexistieren und koevolvieren.

Literatur:

[1] Beuys, J. (1985). Sprechen über Deutschland: Rede vom 20. November 1985 in den Münchner Kammerspielen. In: V. Harlan, R. Rappmann, & P. Schata (Hrsg.), Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys (3. Aufl., S. 25-34). Achberg: FIU-Verlag.

[2] Manovich, L. (2020). AI Aesthetics. Strelka Press.

[3] Born, G., & Barry, A. (2010). ART-SCIENCE: From public understanding to public experiment. Journal of Cultural Economy, 3(1), 103-119.

[4] Zylinska, J. (2020). AI Art: Machine Visions and Warped Dreams. Open Humanities Press.

[5] Bishop, C. (2012). Artificial Hells: Participatory Art and the Politics of Spectatorship. Verso Books.

[6] Rahwan, I., Cebrian, M., Obradovich, N., Bongard, J., Bonnefon, J. F., Breazeal, C., … & Wellman, M. (2019). Machine behaviour. Nature, 568(7753), 477-486.

[7] Bucher, T. (2018). If…then: Algorithmic power and politics. Oxford University Press.

[8] Feenberg, A. (2002). Transforming technology: A critical theory revisited. Oxford University Press.

[9] O’Neil, C. (2016). Weapons of Math Destruction: How Big Data Increases Inequality and Threatens Democracy. Crown.

[10] Jobin, A., Ienca, M., & Vayena, E. (2019). The global landscape of AI ethics guidelines. Nature Machine Intelligence, 1(9), 389-399.

[11] Shanken, E. A. (2005). Artists in industry and the academy: Collaborative research, interdisciplinary scholarship and the creation and interpretation of hybrid forms. Leonardo, 38(5), 415-418.

[12] Belfiore, E., & Bennett, O. (2007). Rethinking the social impacts of the arts. International journal of cultural policy, 13(2), 135-151.

[13] Shneiderman, B. (2020). Human-Centered Artificial Intelligence: Reliable, Safe & Trustworthy. International Journal of Human–Computer Interaction, 36(6), 495-504.

[14] Steels, L., & Brooks, R. (2018). The Artificial Life Route to Artificial Intelligence: Building Embodied, Situated Agents. Routledge.

[15] Daugherty, P. R., & Wilson, H. J. (2018). Human + Machine: Reimagining Work in the Age of AI. Harvard Business Press.

[16] Gunkel, D. J. (2020). An Introduction to Communication and Artificial Intelligence. John Wiley & Sons.

[17] Bryson, J. J. (2019). The Artificial Intelligence of the Ethics of Artificial Intelligence: An Introductory Overview for Law and Regulation. The Oxford Handbook of Ethics of AI, 3-25.

[18] Carr, N. (2014). The Glass Cage: How Our Computers Are Changing Us. W. W. Norton & Company.

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