1.6 Computer Vision – wie KI sehen lernte

Die Entwicklung des „Sehenlernens“ von KI-Systemen, auch als Computer Vision bekannt, ist ein sehr faszinierendes Feld, das in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat. Betrachten wir diese Entwicklung chronologisch und diskutieren die wichtigsten Meilensteine.

1. Anfänge (1950er – 1970er):

Die ersten Versuche, Computern das „Sehen“ beizubringen, begannen in den 1950er Jahren. Marvin Minsky und Seymour Papert (1969) argumentierten in ihrem Buch „Perceptrons“, dass einfache neuronale Netze nicht in der Lage seien, viele wichtige Probleme der Mustererkennung zu lösen [1]. Dies führte zunächst zu einer Verlangsamung der Forschung in diesem Bereich.

2. Grundlegende Algorithmen (1970er – 1990er):

In den 1970er und 1980er Jahren wurden wichtige Grundlagen gelegt:

  • Canny (1986) entwickelte den Canny-Kantendetektor, einen fundamentalen Algorithmus zur Erkennung von Kanten in Bildern [2].
  • Lowe (1999) stellte SIFT (Scale-Invariant Feature Transform) vor, einen robusten Algorithmus zur Erkennung und Beschreibung lokaler Merkmale in Bildern [3].

3. Aufstieg des maschinellen Lernens (1990er – 2000er):

In dieser Phase begann man, maschinelle Lernmethoden verstärkt für Bilderkennungsaufgaben einzusetzen:

  • Viola und Jones (2001) entwickelten einen Echtzeit-Gesichtserkennungsalgorithmus, der AdaBoost für die Merkmalsselektion verwendete [4].
  • Support Vector Machines (SVMs) wurden für verschiedene Klassifikationsaufgaben in der Bildverarbeitung eingesetzt.

4. Deep Learning Revolution (2010er – heute):

Der wirkliche Durchbruch kam mit der Wiederentdeckung und Verbesserung von Deep Learning-Techniken:

  • Krizhevsky et al. (2012) präsentierten AlexNet, ein tiefes konvolutionelles neuronales Netzwerk (CNN), das den ImageNet-Wettbewerb mit einem großen Vorsprung gewann und die Deep Learning-Revolution in der Computer Vision einläutete [5].
  • He et al. (2015) stellten ResNet vor, eine Netzwerkarchitektur, die es ermöglichte, sehr tiefe Netze zu trainieren und die Genauigkeit weiter zu verbessern [6].
  • Redmon et al. (2015) entwickelten YOLO (You Only Look Once), einen Echtzeit-Objekterkennungsalgorithmus, der Objekterkennung als Regressionsproblem behandelt [7].

5. Aktuelle Entwicklungen:

Die jüngsten Fortschritte in der Computer Vision sind beeindruckend:

  • Selbstüberwachtes Lernen: Chen et al. (2020) zeigten mit SimCLR, wie man leistungsfähige visuelle Repräsentationen ohne manuelle Annotationen lernen kann [8].
  • Vision Transformers: Dosovitskiy et al. (2021) adaptierten die Transformer-Architektur, die ursprünglich für NLP entwickelt wurde, für Bildverarbeitungsaufgaben und erzielten beeindruckende Ergebnisse [9].
  • Multimodale Modelle: Radford et al. (2021) präsentierten CLIP, ein Modell, das Bilder und Text gemeinsam verarbeiten kann und eine bemerkenswerte Generalisierungsfähigkeit aufweist [10].
  • Generative Modelle: Ramesh et al. (2022) stellten DALL-E 2 vor, ein Modell, das hochqualitative Bilder aus Textbeschreibungen generieren kann [11].

6. Herausforderungen und zukünftige Richtungen:

Trotz der beeindruckenden Fortschritte gibt es noch viele offene Herausforderungen:

  • Interpretierbarkeit: Es besteht ein wachsendes Interesse an der Entwicklung interpretierbarer Modelle, wie von Rudin (2019) diskutiert [12].
  • Robustheit: Die Anfälligkeit von Deep Learning-Modellen für adversariale Angriffe, wie von Goodfellow et al. (2015) gezeigt, bleibt ein wichtiges Forschungsthema [13].
  • Effizienz: Die Entwicklung energieeffizienter Modelle für den Einsatz auf Mobilgeräten und in Echtzeit-Anwendungen ist ein aktives Forschungsgebiet.
  • Ethische Aspekte: Der zunehmende Einsatz von Gesichtserkennung und anderen Überwachungstechnologien wirft wichtige ethische Fragen auf, die adressiert werden müssen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklung des „Sehenlernens“ von KI-Systemen eine beeindruckende Reise von einfachen Kantendetektoren zu komplexen, multifunktionalen visuellen Systemen war. Die aktuellen Systeme nähern sich in vielen Aufgaben der menschlichen Leistung an oder übertreffen sie sogar. Die zukünftige Forschung wird sich wahrscheinlich auf die Verbesserung der Robustheit, Effizienz und Interpretierbarkeit konzentrieren, während gleichzeitig neue

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[1] Minsky, M., & Papert, S. (1969). Perceptrons: An introduction to computational geometry. MIT Press.

[2] Canny, J. (1986). A computational approach to edge detection. IEEE Transactions on pattern analysis and machine intelligence, (6), 679-698.

[3] Lowe, D. G. (1999). Object recognition from local scale-invariant features. In Proceedings of the seventh IEEE international conference on computer vision (Vol. 2, pp. 1150-1157).

[4] Viola, P., & Jones, M. (2001). Rapid object detection using a boosted cascade of simple features. In Proceedings of the 2001 IEEE computer society conference on computer vision and pattern recognition (Vol. 1, pp. I-I).

[5] Krizhevsky, A., Sutskever, I., & Hinton, G. E. (2012). Imagenet classification with deep convolutional neural networks. Advances in neural information processing systems, 25.

[6] He, K., Zhang, X., Ren, S., & Sun, J. (2015). Deep residual learning for image recognition. In Proceedings of the IEEE conference on computer vision and pattern recognition (pp. 770-778).

[7] Redmon, J., Divvala, S., Girshick, R., & Farhadi, A. (2015). You only look once: Unified, real-time object detection. In Proceedings of the IEEE conference on computer vision and pattern recognition (pp. 779-788).

[8] Chen, T., Kornblith, S., Norouzi, M. & Hinton, G. (2020). A Simple Framework for Contrastive Learning of Visual Representations. Proceedings of the 37th International Conference on Machine Learning, in Proceedings of Machine Learning Research 119:1597-1607

[9] Dosovitskiy, A., Beyer, L., Kolesnikov, A., Weissenborn, D., Zhai, X., Unterthiner, T., … & Houlsby, N. (2021). An image is worth 16×16 words: Transformers for image recognition at scale. In International Conference on Learning Representations.

[10] Radford, A., Kim, J. W., Hallacy, C., Ramesh, A., Goh, G., Agarwal, S., … & Sutskever, I. (2021). Learning transferable visual models from natural language supervision. In International Conference on Machine Learning (pp. 8748-8763). PMLR.

[11] Ramesh, A., Dhariwal, P., Nichol, A., Chu, C., & Chen, M. (2022). Hierarchical text-conditional image generation with clip latents. arXiv preprint arXiv:2204.06125.

[12] Rudin, C. (2019). Stop explaining black box machine learning models for high stakes decisions and use interpretable models instead. Nature Machine Intelligence, 1(5), 206-215.

[13] Goodfellow, I. J., Shlens, J., & Szegedy, C. (2015). Explaining and harnessing adversarial examples. In International Conference on Learning Representations.

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